Anton Joseph Dorsch: Ein Heppenheimer Demokrat
von Karl Härter
Sein Leben umfasse den „Inhalt einer kleinen Weltgeschichte“, konnte man 1819 im Nachruf der Rheinischen Blättern auf Anton Joseph Dorsch lesen. Diese „kleine Weltgeschichte“ begann in Heppenheim, wo Dorsch am 11. Juni 1758 geboren wurde. Sein Vater war der Schreiber des Kurmainzer Oberamtes Starkenburg, Stephan Joseph Dorsch; seine Mutter Johanna Maria Serrarius stammte ebenfalls aus einer Beamtenfamilie. Der junge Anton Joseph wuchs mit vier Geschwistern in Heppenheim auf, das der Vater 1768 wieder verließ, da er vom Mainzer Kurfürsten zum Hofrat (Regierungsmitglied) ernannt worden war.
In Mainz machte auch Anton Joseph Karriere: Nach Gymnasium und Studium der katholischen Theologie promovierte er 1781 und wurde 1784 als Professor für Logik und Metaphysik an die Mainzer Universität berufen. Beeinflusst von einer Bildungsreise nach Paris, den Ideen der Aufklärung und der Philosophie Kants publizierte der junge Philosophieprofessor zahlreiche Schriften und forderte Universitätsreformen und Meinungsfreiheit, womit er sich bei der Kurmainzer Obrigkeit verdächtig machte. Nach dem Ausbruch der Französischen Revolution 1789 spitzte sich dieser Konflikt zu: Dorsch musste 1791 nach Straßburg emigrieren, wo er die revolutionären Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit übernahm und sich zum aktiven Demokraten entwickelte. Als Mitglied im Straßburger Jakobinerklub und der Verwaltung des französischen Departements Bas-Rhin trat er dafür ein, dass Frankreich Revolution und Demokratie nach Deutschland exportieren solle. Er hatte dabei auch die Gebiete der geistlichen Fürsten vor Augen, zu denen das kurmainzische Heppenheim gehörte. In seinen Publikationen trat er insbesondere für den Freiheitsgedanken und die patriotische Vaterlandsliebe ein.
Als die französische Armee im Oktober 1792 das Rheinland eroberte, kehrte Dorsch nach Mainz zurück, um das Kurfürstentum nach dem Vorbild Frankreichs politisch umzugestalten. Damit wurde er zu einer zentralen Figur der „Mainzer Republik“ (1792/93), der ersten demokratischen Republik auf deutschem Boden. Er organisierte und leitete den Mainzer Jakobinerklub und amtierte als Präsident der von Frankreich eingesetzten „Allgemeinen Administration“ und war damit höchster ziviler Repräsentant in den besetzten deutschen Gebieten. Er organisierte maßgeblich die Wahlen zum „Rheinisch-Deutschen-Nationalkonvent“ und die Etablierung des „Rheinisch-Deutschen Freistaats“. Dabei befürwortete Dorsch allerdings die Durchsetzung von Demokratie mithilfe der französischen Truppen und den Anschluss an Frankreich, wofür ihn die Gegner der Revolution als Vaterlandsverräter diffamierten.
Nach der Wiedereroberung von Mainz durch preußisch-österreichische Truppen im Juli 1793 endete das Experiment der Mainzer Republik nach nur wenigen Monaten und Dorsch musste nach Frankreich fliehen. In Paris war er ab 1794 im französischen Außenministerium tätig und übernahm nach der erneuten Eroberung des Rheinlandes durch die Franzosen verschiedene leitende Positionen in der Verwaltung der besetzten und ab 1797 von Frankreich annektierten deutschen Gebiete. Da er eine Revolution in Deutschland nicht mehr für möglich hielt, trat er für den Anschluss an Frankreich und die Einführung einer bürgerlichen Gesellschafts- und Rechtsordnung ein. Damit folgte er der Politik Napoleons, in dessen Verwaltung er seit 1798 Karriere machte: Kommissar im Roerdepartement bei der Zentralverwaltung in Aachen, Unterpräfekt in Kleve bis 1805, Steuerdirektor in der Bretagne und ab 1811 im Großherzogtum Berg. In diesen Ämtern agierte er nicht nur im Interesse Frankreichs, sondern setzte sich bis Anfang des 19. Jahrhunderts weiterhin für Demokratie und Reformen ein.
Nach dem Ende der Napoleonischen Herrschaft verlor Dorsch 1813 alle Ämter und kehrte nach Paris zurück, wo er sich weiterhin als liberaler und kritischer Publizist betätigte und schließlich am 13. April 1819 starb. Einer seiner Zeitgenossen vermutete, dass er seinen Geburtsort im Vermächtnis gewürdigt habe; ob er tatsächlich noch eine Beziehung zu Heppenheim hatte, lässt sich allerdings nicht belegen. Dennoch gehört Anton Joseph Dorsch zu den historisch bedeutsamsten Heppenheimern, den seine Geburtsstadt freilich vergessen hat: Im Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons trat er für Demokratie und Reformen ein, hatte wichtige Funktionen inne und betätigte sich als Mittler zwischen Frankreich und Deutschland. Er ist damit ein Beispiel dafür, dass Heppenheim als Amtsstadt Familien aus der Verwaltungs- und Bildungslinie anzog und für einzelne Angehörige Ausgangspunkt einer Karriere werden konnte, in der sich eine „kleine Weltgeschichte“ spiegelt.
Literaturhinweis: Sebastian Thiele, Anton Joseph Dorsch (1758-1819): Lebensbild eines in Heppenheim geborenen Revolutionärs und Demokraten, in: Die Starkenburg 86 (2009)