Gottfried Pirsch –der Rekordbürgermeister Heppenheims

von Karlheinz Mulzer

Beinahe weltbekannt könnte Gottfried Pirsch sein, denn er war der Lehrherr Justus Liebigs bei dessen vorzeitig abgebrochener Lehre in der Apotheke am Heppenheimer Marktplatz 1817/18. Allerdings, Pirschs Name wurde in diesem Kontext nie genannt. Seine zweite Karriere nach der des Apothekers machte Gottfried Pirsch als Heppenheimer Bürgermeister. Bis heute ist er derjenige mit der längsten Amtszeit von insgesamt 31 Jahren.

Geboren wurde Gottfried Pirsch am 4. Okt. 1792. Er war der älteste Sohn des aus Luxemburg stammenden ersten Heppenheimer Apothekers, Christian Pirsch. Gottfried war es vorbehalten in die Fußstapfen des Vaters zutreten. Hierfür erhielt er die bestmögliche Ausbildung der damaligen Zeit. So studierte er am pharmazeutisch-chemischen Institut des Johann Bartholomäus Trommsdorf in Erfurt – ebenso wie übrigens Heinrich Emanuel Merck. Nach erfolgter Prüfung zum Apotheker vor dem Medizinalkolleg Darmstadt übernahm Gottfried Pirsch als 28jähriger die Heppenheimer Apotheke im Jahre 1817, vier Jahre nach dem Tod seines Vaters. Sein erster Lehrling war: Justus Liebig, damals 14 Jahre alt.

Auch wenn manchmal unterstellt wird, er habe das Talent des Jungen nicht erkannt bzw. gefördert - wozu er weder über Mittel noch Möglichkeiten verfügte – eine ordentliche und umfangreiche Ausbildung muss es gewesen sein, denn Liebig selbst attestiert, dass er in der Kürze der Zeit eine ‚vollkommene Kenntnis‘ erlangt habe. Doch dennoch reifte in Liebig währenddessen der Entschluss, dass er Chemiker und eben nicht Apotheker werden wolle.

Drei Jahre nach der Liebig-Episode stellt sich Gottfried Pirsch als Bürgermeisterkandidat für Heppenheim 1821 zur Wahl und er wird erfolgreich nach der damaligen neuen hessen-darmstädtischen Gemeindeordnung gewählt. Seine unglaubliche lange Amtszeit währt vom 1821 bis 1842 und wieder von 1853 bis 1863, fünfmal wird er dabei wiedergewählt. In der Interimszeit ist Pirsch ‚Polizey-Commisär‘ in Heppenheim. Sein Privatleben ‚ordnet‘ Pirsch in der frühen Amtszeit. 1822 heiratet er Susanne Fillauer aus Weinheim. Fünf erwachsene Kinder bringt diese Ehe hervor. 1834 verkauft Pirsch die Marktapotheke.

Die gesamte Amtszeit Pirschs ist gekennzeichnet von zahlreichen Maßnahmen, die bis in die heutige Zeit hineinwirken und die die Entwicklung der Stadt beeinflusst  haben. Im Folgenden nur einige dieser Aktivitäten.

Bereits im Jahre 1823 war Pirschs Votum im Gemeinderat ausschlaggebend für den Erwerb des Heeschen Palais, der heutigen Schloßschule, durch die Stadt. Das Gebäude wurde zur ersten umfassenden Schule für vier Schulklassen ausgebaut. Das Armenhaus und Siechenhaus sowie die Unterkunft für Waisenkinder wurden ebenso hier untergebracht, somit also auch ein erstes ‚Krankenhaus‘ und ein Kinderheim eingerichtet.

Nur wenige Jahre später, 1830, ist Gottfried Pirsch Mitbegründer der ‚Spar-Kasse im Landrathsbezirk Heppenheim‘ und in der Zeit von 1841 bis -45 sogar deren Vorsteher. Der Sparkassenverein hatte es sich zur Aufgabe gemacht hat besonders die kleinen Vermögen wenig Betuchter zu verwalten. Die heutige Sparkasse Starkenburg steht in unmittelbarer Nachfolge dieser Einrichtung.

Den Erwerb des Kurmainzer Amtshofs durch die Stadt Heppenheim konnte Pirsch ebenfalls durchsetzen. Dieser Gebäudekomplex wechselte 1840 seinen Besitzer. Zuvor in den Händen der hessischen Staatsdomänenverwaltung und als Beschälstation genutzt, wurde der Amtshof danach für städtische Belange herangezogen. Letztlich gelang es auf diese Weise den historisch bedeutendsten Bau Heppenheims bis in die heutige Zeit zu erhalten.

Zwei Maßnahmen Pirsch in seiner zweiten Amtsperiode trugen wesentlich zur Stadtentwicklung, auch im Sozialbereich bei. Pirsch konnte 1860 durch eine vom Stadtrat bewilligte kreditgestützte Bezuschussung des Grunderwerbs den Bau der ‚Landesirrenanstalt  ermöglichen, denn das Projekt drohte aufgrund steigender Grundstückspreise zu platzen. Diese Klinik war später aufgrund seiner zahlreichen Arbeitsplätze für Heppenheim enorm wichtig. Eine weitere finanzielle Bezuschussung aus den Gewinnen der Sparkassse überzeugte den Stadtrat 1861 die Verwaltung und Betreuung der armen Kranken in der heutigen Schlossschule einem Nonnenorden, der Schwestern vom heiligen Erlöser, zu übertragen. Damit wurde erstmalig Pflege und Sozialbetreuung institutionalisiert. Eine Folge daraus ist Erbauung und Einrichtung des ersten ordentlichen Hospitals 1881 (heute Haus Johannes).

Bedingt durch damals neue Gemeindeordnung hat Gottfried Pirsch wesentlich zum Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung beigetragen. Dies und die in seiner Amtszeit durchgesetzten Projekte haben das Bild des heutigen Heppenheims geprägt, ohne sein Wirken wäre das Stadtbild ein anderes.

Gottfried Pirsch verstarb sieben Jahre nach Ende seiner letzten Amtsperiode am 29.3.1870 in Heppenheim, drei Jahre vor seinem berühmt gewordenen Zögling Justus von Liebig.

Literatur:

Löslein, Ernst. Justus von Liebigs Lehrzeit in Heppenheim, 1200 Jahre Mark Heppenheim (1973) Kreisstadt Heppenheim.

Briefe von Justus Liebig nach neuen Funden. Selbstverlag Liebig Museum (1928)

Liebig, Georg von (Hrsg.), Justus von Liebig, Eigenhändige biografische Aufzeichnungen; Berichte der dtsch. Chem. Ges. (1910); 23, 817-888

Schwedt, Georg. Liebig und seine Schüler – die neue Schule der Chemie, Springer Verlag (2002)

Heß, Heinrich. 350 Jahre Heppenheimer Schulgeschichte, 1200 Jahre Mark Heppenheim, Magistrat Heppenheim (1973)

Mellinghaus-Winter, Hildegard: Heinrich Winter 1898-1964, Geschichtsblätter Kreis Bergstraße: Sonderband 16 (1995) Lorsch

Metzendorf, Wilhelm: Ordenschwestern in Heppenheim, 1904-1979 Pfarrkirche Sankt Peter. Festschrift (1979) Heppenheim